Die Tote im Eis by Eva Frantz
Autor:Eva Frantz
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau digital
veröffentlicht: 2023-07-18T10:17:46.977000+00:00
Die Schachtel ist leer. Auch wenn sie insgeheim weiÃ, dass es vergebens ist, schiebt sie den Finger hinein und tastet herum, dreht die Schachtel um und schüttelt, als würde das irgendwie helfen. Doch sie ist und bleibt leer.
Trotzdem muss sie sie verstecken. Wenn Ulla oder der Arzt erfährt, dass Hasse ihr Schmerzmittel gegeben hat, wird alles nur noch viel schlimmer. Da lassen sie sie nie nach Hause fahren. Dann wird sie sich nachts auch nicht mehr betäuben können, und die Träume brechen nur so über sie herein. Es wäre unerträglich.
Sie schiebt die Schachtel in ihren Sportschuh im Kleiderschrank.
Die Tabletten waren nicht kostenlos. Vor zwei Nächten hat sie für die erste Schachtel bezahlen müssen. Sie hatte am Abend so viele Tabletten genommen, dass sie kaum mitgekriegt hat, dass sie kamen, doch als das Blitzen anfing, wachte sie halb aus ihrem Dämmerschlaf auf. Eine Weile lag sie nur reglos da und versuchte zu beurteilen, ob dies ein merkwürdiger Traum war oder etwas, was wirklich passierte.
Erst hatten die Kamerablitze sie nur geblendet. Deshalb dauerte es einen Moment, ehe sie an der angelehnten Tür Hasse entdeckte. Doch über ihr am Bett stand noch jemand anderes, jemand GröÃeres, Schlankeres, allerdings nicht Ulla. Und auch nicht der Arzt. Dann kamen weitere Blitze.
Als sie das nächste Mal aufwachte, war es Morgen geworden. Alles war wie gehabt, nur ihr Slip war verschwunden. Den fand sie später in der Ritze zwischen Bett und Wand wieder. Panik und Angst flammen erneut in ihr auf und lähmen sie mehr als die Medikamente.
Die Vorstellung, dass es Nacktbilder von ihr geben könnte, ist unerträglich. Sie hasst ihren Körper. Das ist schon so, seit sie denken kann. Als sie noch eine normale Schule besuchte, schwänzte sie immer, wenn sie Schwimmen hatten oder irgendwas anderes, was bedeutet hätte, dass sie das Grauen hätte vorzeigen müssen. Sie vermeidet Ganzkörperspiegel, wo immer es geht.
Das Schlimme ist, dass sie im Herbst anfing, sich besser zu fühlen. Hier gibt es Leute, die ihren Körper noch viel mehr hassen als sie. Camilla zum Beispiel. Und mit Elli und Carina kann sie über solche Sachen reden. Sogar Nina und Ingrid sind netter als die Mädchen von ihrer alten Schule, obwohl sie bildhübsch sind, aber sie versuchen zumindest, es zu verstehen.
Doch seit jener Nacht nach der Party ist all das zunichte.
Jetzt hasst sie jedes Härchen, jede Hautfalte, jede Schwiele, jede Pore an sich nur noch mehr. Und sie hasst den Umstand, dass Hasse ihr droht, die Fotos an ihre Mutter zu schicken und ihr zu erzählen, dass sie bei alledem mitgespielt hätte. Er hat geschworen, die Fotos an ihre Chefs zu schicken, wann immer sie in der Zukunft versucht, sich einen Job zu suchen, und an jeden Freund, den sie je haben wird. Also für den Fall, dass sie ihn verrät. Solange sie schweigt, ist alles in Ordnung, behauptet er. Er sagt das mit seiner freundlichen Stimme, sieht sie dabei aber nie an. Das macht die Sache noch schlimmer. Denn darauf ist Hasse wohl nicht selbst gekommen, sondern ein anderer, und wer das war, kann sie sich denken.
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